1000jähriges Jubiläum der Ortschaft Schmedenstedt
…der Versuch einer historischen Betrachtung!
Liebe Schmedenstedterinnen, liebe Schmedenstetder, liebe Besucherinnen und Besucher auf unserer Seite www.schmedenstedt.de,
vor gut eineinhalb Jahren haben wir uns erstmals in einem Kreis getroffen, der sich mit folgenden Fragen beschäftigt hat:
Wird unser Ort, wird Schmedenstedt im Jahr 2022 tatsächlich 1000 Jahre alt und wenn ja, begehen und feiern wir dann auch ein Ortsjubiläum?
Diese Runde, allesamt keine Historikerinnen oder Historiker oder gar Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler, allemal interessierte Heimatverbundene, hatte sich also zuallererst mit der Frage befassen müssen, wann ist das Gründungsdatum von Schmedenstedt – also die erste urkundliche Erwähnung?
Auch bei uns war grundsätzlich das große Bedürfnis zu spüren, ein so bedeutendes Jubiläum aufzugreifen, um das Alter unserer Ortschaft und sein Gründungsdatum zu kennen und dieses auch für die Nachwelt in Form einer Chronik oder Festschrift, da waren wir uns damals noch nicht sicher, festzuhalten.
Nach den ersten Recherchen mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und mit der Unterstützung des Stadtarchivars, Herrn Dr. Andreas Kulhawy [1], konnten wir zunächst zwei Daten als für uns wichtige Urkunden ansetzen: 1022 und 1166.
Doch halt – steht nicht zu Beginn der Geschichte Schmedenstedts die überlieferte Sage, nach der hier um 850 nach Christus schon eine Taufkirche als einzige des gesamten Gaues bestanden haben soll?
Nach einer für die Franken gewinnbringenden Schlacht gegen die Sachsen soll ein Sachsenkrieger, schwer verwundet zu Pferd, mit einer Botschaft Herzog Widukinds in die Nähe Schmedenstedts geflohen sein, wo damals der alte Arnulf eine Schmiede betrieben habe.
Arnulf und seine Tochter Irmgarde, beide Christen, sollen diesen heidnischen Sachsen Wulf, Haralds Sohn, gesund gepflegt haben, der dann nach seiner Bekehrung Schmedenstedt zum kirchlichen und weltlichen Mittelpunkt eines Bannes gemacht haben. In der Tat bestand in Schmedenstedt ein alter Malplatz als Gogerichtsstätte (Verwaltungs- und Gerichtsbezirk in Friesland und Sachsen) und damit Mittelpunkt eines Bannes mit sechzehn Orten.[2]
Somit wären wir dann schon lange an den 1000 Jahren und unserem Jubiläum vorbeigeschlittert und auch Archäologe Thomas Budde stellt fest (Zitat):
„Es ist bekanntlich topografisch zu unterscheiden zwischen der 400 m südlich von Schmedenstedt gelegenen Wüstung „Alt Schmedenstedt“ an der ehem. Totenkirche, die eine Archidiakonatskirche gewesen ist, und dem heutigen Dorf Schmedenstedt.
Die Archidiakonate entstanden ca. im 11. Jahrhundert und haben oft noch ältere Wurzeln. Leider sind die mehr als 3000 Oberflächenfunde von der Wüstung noch nicht wissenschaftlich ausgewertet. Nach diversen Fundzeichnungen in der archäologischen Ortsakte Schmedenstedt und den Ergebnissen einer erfolgreichen Feldbegehung im Jahr 2005 komme ich auf eine Datierung vom 1. bis 6. Jahrhundert (hauptsächlich im Westteil) und 7./8. bis 15. Jahrhundert (hauptsächlich im Ostteil der Wüstungsfläche). Es handelt sich demnach vermutlich um eine germanische Siedlung, die sich im Laufe der Zeit etwas nach Osten verlagert hat. Das wäre nichts Ungewöhnliches. Eine Siedlungskontinuität ist wahrscheinlich, wäre aber nur durch eine Feindatierung der Funde zu klären. Denkbar bleibt bis dahin auch ein Untergang der germanischen Siedlung im 6. Jahrhundert und eine Neugründung im frühen Mittelalter (7./8. Jh.). Die Wüstung fiel nach den Funden offenbar im 15. Jahrhundert wüst, mit Ausnahme der stehen gebliebenen Archidiakonatskirche und dem Friedhof.
Das heutige Schmedenstedt ist archäologisch noch nicht gut erforscht. Doch habe ich in jüngerer Zeit inzwischen einige Bodeneingriffe im alten Dorf begleitet. Dabei fiel auf, dass die gefundenen Keramikscherben bisher in keinem Fall vor 1250 datieren.
Die Bezeichnungen „Groß“ und „Klein“ (in Urkunden „Groten“/ „majori“, sowie „Luttken“/ „parvum“) beziehen sich nach meinen bisherigen Erkenntnissen nicht unbedingt auf die Größe des Ortes, sondern auf die Altersabfolge. Groß Schmedenstedt müsste also der ältere, ursprünglich freilich auch größere Ort gewesen sein. Das heutige Schmedenstedt wäre dem zufolge mit Klein Schmedenstedt zu identifizieren.
Eine urkundliche Erwähnung Schmedenstedts vor 1000 Jahren dürfte sich somit mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Wüstung Alt Schmedenstedt beziehen. Da die bisherigen Funde aus dem heutigen Schmedenstedt nicht vor 1250 datieren, ist sogar denkbar, dass das heutige Dorf vor 1000 Jahren noch gar nicht bestanden hat. Freilich kann es eine ältere, bisher noch unentdeckte Siedlungszelle im heutigen Dorf gegeben haben, und sei es nur ein einzelner Hof. Hier bleiben weitere Ausgrabungen und Funde abzuwarten. Doch selbst wenn eines Tages ältere Funde entdeckt werden sollten, wird es sicher dabei bleiben, dass mit einer Erwählung Schmedenstedts vor 1000 Jahren die Wüstung Alt Schmedenstedt gemeint sein dürfte.“[3]
…und so stehen wir heute wohl direkt auf dem Gebiet, auf dem unsere Vorfahren gesiedelt haben dürften. Ringsherum sicher dicht bewaldet und bis zum damaligen Michaeliskloster in Hildesheim mit seinem Gründer Bischof Bernward, das fest mit unserer Geschichte verbunden ist, eine damals mehrtägige Reise.
Seit mit Heinrich I. (König 919-936) ein Sachse aus dem Geschlecht der Liudolfinger König des Ostfränkischen Reichs wurde, bildeten in der Mitte des Reichs liegenden Orte und Burgen zentrale Stätten von Regierung und Kultur. Hildesheim war Hauptort eines seit dem 9. Jahrhundert etablierten Bistums in Sachsen. Hildesheim bot mit seiner Domschule eine Ausbildungsstätte, aus der Herrscher in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Personal für bedeutende Personen rekrutierten. Daher ist es nicht überraschend, dass Hildesheim gerade zur Zeit Bernwards zu einem Zentralort des Reiches wurde. Die Gründung des Michaelisklosters markiert einen späten Höhepunkt in der Amtszeit des Bischof Bernward.[4]
Doch was hat das mit der Frage nach unserer Gründung und der ersten urkundlichen Erwähnung auf sich?
Als Otto der II. 983 starb, hielt Bernward zu dessen Sohn Otto III., dessen Position als Nachfolger keineswegs unbestritten war. Bernward scheint bereits dem engen kaiserlichen Kreis dieser Zeit angehört zu haben. Die Witwe Ottos II., Theophanu, die in Vormundschaft für Otto III. regierte, berief Bernward 988 zum Erzieher ihres Sohnes. Kurz zuvor hatte ihr enger Vertrauter, der Mainzer Erzbischof Williges, Bernward zum Priester ernannt.[5] Williges war es wohl auch, der 993 Bernwards Berufung auf den gerade frei gewordenen Hildesheimer Bischofsstuhl als dessen 13. Oberhaupt betrieb.
Mit seiner Erfahrung ordnete Bernward energisch die rechtlichen und liturgischen Verhältnisse im Domkapitel. Auf Diözeseansynoden wurde der Unterhalt der Kirchen und der Pfarrer geregelt. Seine Kanzlei scheint so geordnet gewesen zu sein, dass nach dem Dombrand von 1013, bei dem das Urkundenarchiv vermutlich zerstört wurde, Abschriften vorgewiesen werden konnten, die noch in demselben Jahr vom Kaiser bestätigt wurden.
Zum Selbstverständnis Bernwards gehörte es offenbar auch, seine Motivation offenzulegen und sein Handeln zu erklären.[6] Die Forschung, so nachzulesen, spricht von drei „Testamenten“: aus den Jahren 996, 1019 und eben….. 1022.
Die Literatur spricht von insgesamt drei Urkunden aus dem Jahr 1022. Diesen Urkunden möchte ich mich etwas näher widmen.
- Die echte Kaiserurkunde von 1022 (Urkunde I)[7]
Die einzig echte Urkunde stammt von Kaiser Heinrich dem II. und ist am 3. November 1022 in der Pfalz Grone bei Göttingen ausgestellt worden. In diesem kaiserlichen Schutzdiplom wurde dem Kloster aller von Bernward übertragene Besitz bestätigt und Angriffe auf dasselbe mit einer Strafdrohung von 100 Pfund Gold verboten, die je zur Hälfte an den König und an das Kloster zahlbar gewesen wären. Das Original der Urkunde ist im Herbst 1943 während eines alliierten Bombenangriffes im Staatsarchiv Hannover vernichtet worden.[8] Der beste Druck dieser Urkunde liegt in einem Band aus der Reihe der Urkunden der deutschen Könige und Kaiser der Monumenta Germaniae Historica vor. Das Original ist zwar, wie gerade angesprochen, vernichtet worden, aber es hat sich von ihr noch eine im 12. Jahrhundert gefertigte Abschrift im Urkundenanhang zur hannoverschen Handschrift der Vita Bernwardi auf den Seiten 120-122 erhalten.[9]
Interessant ist die Bestätigung des Besitzes und der dabei genannten Orte. Leider ist es so, dass in der einzig echten von den drei Urkunden nur vergleichsweise wenig Orte erwähnt werden, nämlich 31Orte im Gegensatz zu 154 Orten in der gefälschten Kaiserurkunde. Zunächst listet die Urkunde die 18 Orte auf, in denen dem Kloster Höfe[10] übertragen wurden. Jeweils mitgenannt wird die Anzahl der zugehörigen Hufen. Insgesamt werden dem kloster der Besitz von 412 Hufen bestätigt.[11] Danach folgt eine Auflistung des beeindruckenden Besitzes von 13 Kirchen, die Bernward seiner Stiftung vermacht hat. Die Aufzählung des bestätigten Besitzes schließt mit der Nennung von neun Orten ab, in denen Mühlen zur Ausstattung des Klosters zählten.
- Die gefälschte Kaiserurkunde von 1022 (Urkunde II)[12]
Diese Urkunde gibt an, sie sei von Kaiser Heinrich II. im Jahr 1022 auf der Pfalz Werla nördlich von Goslar ausgestellt worden und der Kaiser habe das Kloster und seine Besitzungen in seinen Schutz genommen, ihm Immunität und das Recht zur Wahl des Abtes und des Vogtes verliehen.
Wie schon bei der echten Kaiserurkunde gilt auch bei ihr, dass der beste Druck in einem Band aus der Reihe der Urkunden der deutschen Könige vorliegt. Da auch diese Urkunde 1943 vernichtet wurde, wird die Abschrift aus der hannoverschen Handschrift der Vita Bernwardi auf den Seiten 122-127 wiedergegeben.[13]
Hier taucht auch zum ersten Mal in der Zeile 18 Smithenstide auf – also endlich eine erste urkundliche Erwähnung.
Während Hermann Adolf Lüntzel im Jahr 1837 noch für die Echtheit dieser Urkunde eintrat,[14] darf spätestens seit ihrer kritischen Betrachtung durch Karl Janicke im Jahr 1896[15] als gesichert gelten, dass es sich um eine (teilweise) Fälschung handelt.
Dass es sich nicht um eine originale Ausfertigung einer Kaiserurkunde von Heinrich II. handeln kann, geht schon daraus hervor, dass die Schrift der Urkunde der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts angehörte.[16] Außerdem fehlten ihr konstruktive Bestandteile von Kaiserurkunden, nämlich das Monogramm, die Signum- und die Rekognitionszeile.[17]
(Ein Monogramm ist eine aus Buchstaben zusammengesetzte figürliche Darstellung eines (Herrscher-)Namens, das zur Beglaubigung einer Urkunde diente. Es wird durch die Signumzeile begleitet, in der sich eine objektive Erklärung dazu findet. In der Rekognitionszeile erfolgte eine Gegenzeichnung der Urkunde durch einen der höchsten kaiserlichen Beamten)
Da saßen wir nun in unserer Runde, wissend, dass wir nun von einer unechten Urkunde aus dem Jahr 1022 ausgehen mussten. Das war ernüchternd – zudem ein verstohlener Blick auf das Jahr 1166, in der erstmals ein bischöflicher Hof genannt wurde und sich vermutlich auf Schmedenstedt bezog – 2166, also noch 144 Jahre. Das schien auch bei gutem Lebenswandel für keinen erreichbar.
In noch weiterer Ferne das Jahr 1301. Dort tritt in einer Urkunde der Priester Stacius von Schmedenstedt auf und das Dorf Groß Schmedenstedt wird im gleichen Jahr zum ersten Mal in einer weiteren, echten Urkunde erwähnt.
Es mehrten sich Stimmen, das 1000jährige Jubiläum in diesem Jahr nicht zu begehen und nicht weiter zu planen.
Allerdings wollte die Mehrzahl die historischen Unterlagen weiter betrachten, sammeln und auswerten und es stellte sich die Frage, was machen eigentlich die anderen 153 Ortschaften, die ebenfalls in der vermeintlich gefälschten Urkunde genannt waren?
Während Janicke noch eine komplette Fälschung annahm, wurde dies einige Jahre später zum Teil revidiert. Eine genauere Untersuchung des Textes und ein Vergleich mit anderen Kaiserurkunden ergab, dass weiten Teilen der Urkunde eine echte, wohl im Jahr 1013 auf Werla ausgestellte Urkunde für das Michaeliskloster zu Grunde lag.[18] Diese war in jedem Fall deutlich weniger umfangreich und enthielt wohl nur eine allgemeine Besitz- und Immunitätsbeschreibung und die Möglichkeit, im Einverständnis mit dem Bischof den Vogt zu bestimmen.
Ein Lichtblick?
Doch zunächst ein kurzer Blick auf die letzte der drei Urkunden…
- Die gefälschte Bischofsurkunde von 1022 (Urkunde III)[19]
Diese Urkunde gibt an, sie sei von Bischoff Bernward von Hildesheim am 1. November 10022 in Hildesheim ausgestellt worden und in ihr habe er bezeugt, dass er außerhalb der Hildesheimer Stadtmauer ein Kloster gestiftet und mit Gütern ausgestattet habe. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Urkunden fand sie keine Aufnahme in die Hannoversche Handschrift der Vita Bernwardi.
Aus den Untersuchungen lässt sich allerdings klar erkennen, dass diese Urkunde keinerlei eigenen Quellwert für das 11. Jahrhundert hat. Der Fälscher hat für das Erstellen seines flickenteppicharten Werkes nur ihm im Michaeliskloster zugängliche Quellen aus der Zeit Bernwards bzw. die Fälschung aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts herangezogen, die auch anderweitig bekannt sind. Sie ist offenbar so ungeschickt, dass die Urkunde nicht für würdig befunden wurde, in den Urkundenanhang der Vita Bernwardi aufgenommen zu werden, als diese 1192 für die Präsentation in Rom anlässlich der Bemühungen um die Heiligsprechung Bernwards angefertigt wurde.
Gleichwohl – die Abweichungen in den Schreibungen sind zuvor nicht berücksichtigt worden – ist sie eine durchaus interessante Quelle für die Entwicklung der Ortsnamen.
Hier ist in Zeile 25 nun der Name Smidenstide zu finden, der sich aus Smithenstide verändert hat.
Doch was heißt das nun für uns und stehen wir hier heute doch völlig zu Unrecht? Ich will versuchen, ihnen und euch die Sorge zu nehmen…
Urkunde I ist als originale Königsurkunde in inhaltlicher und sprachlicher Hinsicht natürlich völlig unbedenklich heranzuziehen – leider ohne unseren Ortsnamen – wie oft man sich diese Urkunde auch ansieht, die Ablichtung auch dreht und wendet.
Urkunde III ist eine gefälschte Bischofsurkunde und aus allen möglichen anderen Urkunden zusammengesetzt.
Urkunde II ist zwar formal eine Fälschung aus dem beginnenden 12. Jahrhundert, doch gehen einzelne Urkundenteile auf eine echte Königsurkunde zurück und die Besitzliste entstammt einer Aufzeichnung noch aus der Zeit Bischof Berwards, die sowohl in inhaltlicher wie auch in sprachlicher Hinsicht in Bezug auf die Ortsnamen für die Zeit um 1022 belastbar ist.
Wir sind daher auf der richtigen Spur, wenn auch die Feststellung des korrekten Datums der Ersterwähnung unseres Ortes recht kompliziert ist.
Es ist daher unter Berücksichtigung der zahlreichen Unsicherheiten und Indizien durchaus legitim, ein Ortsjubiläum auf 1022 zu feiern, in dem Wissen, dass hier auf ein Jubiläum gefeiert wird, welches auf eine schriftliche Nennung lediglich des Ortsnamens zurückgeht und dass die Ortsstätte ohnehin schon Jahrhunderte vorher besiedelt war, wie archäologische Funde des Archäologen Thomas Budde zeigen.
Provokant könnte man sogar formulieren, dass der Frage der urkundlichen Ersterwähnung nicht allzu große Bedeutung beigemessen werden sollte!
Ob ein Ort nun das Tausendjährige 2022 feiern kann oder erst seit 900 Jahren verlässlich erwähnt wurde und bis zum Tausendjährigen noch 100 Jahre warten müsste oder ob ein früheres Datum vielleicht sogar verpasst wurde und man eigentlich nachfeiern müsste – das könnte bei dem langen Zeitraum ziemlich egal sein.
Wichtig ist doch, dass die Dorfgemeinschaft sich zusammenfindet und sich auch in Geselligkeit über ihr „woher“ und „wohin“ austauscht und gemeinsam in die Zukunft blickt.[20]
Schmedenstedt war Sitz eines Archidiakonats der Diözese Hildesheim und der 1189 genannte archidiaconus Iocelinus[21] hatte sein Amt wahrscheinlich hier inne. Die sogenannte Totenkirche auf dem Friedhof war die Archidiakonatskirche. Beim Abbruch des Kirchenschiffs 1873 fanden sich zwei vermauerte Kapitelle, die sich stilistisch auf etwa 1230 datieren lassen. Der erhaltene Turm stammt vermutlich aus der ersten Hälfte des 14. Jh.
Seit 1013 gab es im Bistum Hildesheim 17 Archidiakonate, die in einer weiteren Urkunde Bischof Bernward jedoch nur summarisch genannt werden. Es ist aber davon auszugehen, dass Schmedenstedt damals schon dazu gehörte.
1389 und 1393 war der Hildesheimer Domherr und spätere Dompropst Eckhard von Hanensee Archidiakon von Schmedenstedt und als das Archidiakonat nach dem Tod des Requinius Cortenacke um 1420 vakant war, bemühten sich Burkhard de Steinbeck, Heinrich de Herberghen und Ludolf de Oldershusen um das Amt. Letzterer war anscheinend erfolgreich und Ludolf konnte sich offensichtlich lange halten und bezeichnete sich noch 1437 als archidiaconus in Smedenstede in ecclesia Hildesemensis.
Es lässt sich nicht nachvollziehen, zu welchem Zeitpunkt die Siedlung um die Archidiakonatskirche, die ursprünglich aus 11 Höfen bestand, aufgegeben und an die Stelle des heutigen Schmedenstedt verlegt wurde.
Die Frage, warum ein Wechsel stattfand, lässt sich also nur vermuten. So könnten Fehden oder Seuchen eine Rolle gespielt haben. Eine Sage hält sich bis aber bis heute: Aus Angst vor den Wölfen des unmittelbar angrenzenden Waldes, die die Kinder aus den Wiegen geholt hätten, haben die Bewohnerinnen und Bewohner den Ort letztendlich verlassen.
Im Spätmittelalter wurden u. a. die Archidiakonate von Sievershausen, Leiferde und Müden mit Schmedenstedt verbunden und um 1481 gehörten die Orte Peine, Münstedt, Dungelbeck, Rüper, Groß Lafferde, Gadenstedt, Sierße, Duttenstedt, Woltorf, Liedingen, Klein Ilsede und Groß Ilsede, Hasler, Köchingen, Bethmar, Vechelde, Wahle sowie Oberg zum Archidiakonat Schmedenstedt.
Viele Vertreter der Ortschaften sind der Einladung des Festkomitees gefolgt und feiern heute gemeinsam mit uns.
Seit dem späten 16. bis ins 18. Jh. zählte es zu den zwölf Kathedral-archidiakonaten, die jeweils mit Hildesheimer Domherren besetzt wurden.[22]
Der erste namentlich bekannte Ortspfarrer ist dominus Stacius de Smedenstede, der 1301 in der Zeugenliste einer Urkunde erscheint.[23]
Ende des 15. Jahrhunderts bestand auch ein Hof der Kalandbruderschaft in Schmedenstedt. Diese bestand aus Klerikern und Laien und engagierte sich im Dienst der Nächsten, insbesondere in der Bestattung Armer. Der „Mönchsgang“ ist heute noch vielen ein Begriff und existiert immer noch.
In Folge der Hildesheimer Stiftsfehde (1519–1523) hatte Bischof Johannes IV. das Amt Peine, zu dem Schmedenstedt gehörte, 1526 an die Stadt Hildesheim verpfänden müssen.
Als der Schmalkaldische Bund 1542 den braunschweigischen Herzog Heinrich den Jüngeren verdrängt hatte, trat der Rat der Stadt Hildesheim unter dem Schutz des Bundes zum protestantischen Bekenntnis über und damit wurde auch Schmedenstedt lutherisch.
Von 1556 bis 1603 war das Amt Peine im Pfandbesitz des Herzog Adolf von Schleswig, der 1561 eine Kirchenordnunge in „baiden gerichten, Steurwoldt und Peine“ erließ.[24]
1603 konnte der Hildesheimer Bischof das Amt wieder einlösen, musste dabei jedoch der Bedingung zustimmen, den Lutheranern ihre freie Religionsausübung zu lassen. Schmedenstedt war also ein luth. Dorf unter einem kath. Landesherrn. Im 16. und 17. Jh. beanspruchte Braunschweig-Wolfenbüttel allerdings die geistliche Jurisdiktion über die lutherischen Gemeinden.
Während des Dreißigjährigen Krieges unternahm der Bischof von Hildesheim Ende der 1620er Jahre trotz anderslautender Zusagen einen Versuch, das Amt Peine zu rekatholisieren und ließ auch den damaligen Pastor Heinrich Busse in Schmedenstedt absetzen.
Der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld übernahm 1628 die Pfarren in Schmedenstedt und in Münstedt, wurde jedoch 1629 auf dem Weg zum Gottesdienst in Woltorf überfallen und lebensgefährlich verletzt.[25]
- Busse kehrte 1632 zurück und die gegenreformatorischen Bemühungen des Bischofs fanden ein Ende, als 1633 Truppen des Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel die Stadt Peine eroberten. Mitte 17. Jh. war Schmedenstedt hinsichtlich des Landbesitzes eine der am besten ausgestatteten Pfarren im Amt Peine.[26]
Mit dem Reichsdeputationshauptschluss fielen die hildesheimischen Gebiete 1803 an Preußen und nach der Niederlage gegen Napoleon war Schmedenstedt von 1807 bis 1813 Teil des Stadtkantons Peine im Distrikt Braunschweig des Departements Oker im Königreich Westphalen. Danach gehörte der Ort wieder zum Amt Peine, zunächst im Königreich Hannover und nach dessen Annexion 1866 erneut im Königreich Preußen. 1885 kam Schmedenstedt zum neuen Landkreis Peine und 1974 wurde der Ort in die Stadt Peine eingemeindet.
1664 hatte Schmedenstedt gut 240 Einwohner, 1803 dann gut 540 und 1895 gut 820. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte sich ihre Zahl auf gut 1.620 fast verdoppelt und 2017 lag sie bei 970. In den 1960er Jahren setzte sich die Bevölkerung hauptsächlich aus Arbeitern und Bauern zusammen.
Heute haben wir über eintausend Einwohnerinnen und Einwohner und blicken auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück.
Wir waren bedeutungsvoll und dann auch wieder einmal bedeutungslos – allerdings immer das kleine kritische Dorf mit einem eigenen Willen. Ein Ort der Geselligkeit, des Frohsinns, des Gesanges und des Zusammenhaltes.
So soll es bleiben – auf die nächsten eintausend Jahre!
[1] Antwort der Stadt Peine (Stadtarchiv), Herr Dr. Kulhawy, vom 13.August 2019 zur Anfrage des Gründungsdatums Schmedenstedts; -4- Anlagen mit Auszügen zu historischen Urkunden.
[2] U.a. „Kleine Kunstführer“ – Ev.-luth. Pfarrkirche St. Georg Schmedenstedt, München, 1993 S.2.
[3] Archäologe Thomas Budde, 05.04.2022 nach der Anfrage zum Jubiläumsdatum 1000 Jahre Schmedenstedt.
[4] 1022 Die echten und die gefälschten Urkunden für das Kloster St. Michaelis in Hildesheim, Schriften zur Heimatpflege, Band 22, Veröffentlichungen des Niedersächsischen Heimatbundes (NHB) S.20.
[5] Goetting, Hildesheim S.177.
[6] Vgl. von den Steinen, Bernward.
[7] 1022 Die echte und die gefälschten Urkunden für das Kloster St. Michaelis in Hildesheim, Schriften zur
Heimatpflege, Band 22, Veröffentlichungen des NHB S. 59-31.
[8] MGH DH II. Nr.479 S.610ff
[9] Sie befindet sich im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover und ist im Jahr 1192 entstanden. Zur Datierung
der Handschrift und zum Grund ihrer Entstehung im Rahmen des Heiligsprechungsprozesses von Bernward
von Hildesheim vgl. ausführlich Giese, Textfassungen, S.12 und vor allem S.39-43.
[10] 16 davon werden als curtis, zwei davon – die beiden Ersten, Schöningen und Remlingen, werden als
dominicalis casa (Herrenhof) bezeichnet.
[11] Aschoff, St.Michael S.688 nennt 402 Hufen.
[12] 1022 Die echte und die gefälschten Urkunden für das Kloster St. Michaelis in Hildesheim, Schriften zur
Heimatpflege, Band 22, Veröffentlichungen des NHB S. 31-39.
[13] Niedersächsisches Landesarchiv Hannover Ms Nr.92(alt Ms F 5).
[14] Vgl. Lüntzel, Hildesheim S.88ff.
[15] UB H.Hild. I Nr.69 S.70-74.
[16] MGH DH II. Nr.260 S.304 („Urkunde des 12. Jahrhunderts“).
[17] Ein Monogramm ist eine aus Buchstaben zusammengesetzte figürliche Darstellung eines (Herrscher-)Namens,
das zur Beglaubigung einer Urkunde diente. Es wird durch die Signumzeile begleitet, in der sich eine objektive
Erklärung dazu findet. In der Rekognitionszeile erfolgte eine Gegenzeichnung der Urkunde durch einen der
höchsten kaiserlichen Beamten.
[18] Vgl. die ausführlichen Erläuterungen in der Vorbemerkung zu MGH DH II. Nr.260 S.304-305
[19] 1022 Die echte und die gefälschten Urkunden für das Kloster St. Michaelis in Hildesheim, Schriften zur
Heimatpflege, Band 22, Veröffentlichungen des NHB S. 39-42.
[20] 1022 Die echte und die gefälschten Urkunden für das Kloster St. Michaelis in Hildesheim, Schriften zur
Heimatpflege, Band 22, Veröffentlichungen des NHB S. 17/Fazit.
[21] UB HS Hildesheim I, Nr. 470.
[22] Machens, Archidiakonate, S. 112 f. und 118.
[23] UB HS Hildesheim III, Nr. 1332.
[24] Sehling, Kirchenordnungen 16. Jh. Bd. 7,2,1, S. 769 ff.
[25] Oorschot, Spees Rolle, S. 25 und 29.
[26] Dürr, Politische Kultur, S. 171.
Historische Festrede zum 1000jährigen Jubiläum der Ortschaft Schmedenstedt mit Quellenangaben